Fachdialog LRS-Förderung
Auf den folgenden Seiten teile ich meine Erfahrungen aus meiner Arbeit mit lese- und/oder rechtschreibschwachen Kindern. Gerne gehe ich mit anderen Therapeuten/Expertinnen/Lehrkräften in einen Dialog. Haben Sie andere Erfahrungen gemacht oder möchten Sie ein Thema auf meiner Seite kommentieren?
Die Logik der Rechtschreibung
Von Bausteinen, Wortstämmen und Merkwörtern
Kinder mit Rechtschreibschwierigkeiten speichern nicht genügend Bausteine in ihrer korrekten Schreibung und/oder das Gehirn bildet nicht genügend innere Regeln. Diese Kinder brauchen also eine möglichst einfache Erklärung, wie sie ans Ziel kommen können. Das Ziel heißt: sich im Zweifelsfall für die richtige Schreibung zu entscheiden.
Dafür zeige ich ihnen die logischen Muster, die hinter den meisten Schreibungen stecken:
1. Wir haben eine Bausteinsprache
2. Im Wortstamm geht es logisch zu
3. Kleine, häufige Wörter sind Merkwörter
4. Statistik hilft
1. Bausteine
Das Erkennen der Bausteine, aus denen unsere Wörter bestehen, ist die Grundlage zum Verständnis ihrer Schreibung. Die Bausteine sind:
- Vorbausteine (der Begriff „Vorsilbe“ trifft nur auf einen Teil der Vorbausteine zu. Um bei der Arbeit mit Kindern hier nicht auf diesen Unterschied eingehen zu müssen, bezeichne ich alle als „Vorbausteine“)
- Stämme/Hauptbausteine
- Endungen
Beispiel „verfährt“
Dieses Wort kann nur richtig schreiben, wer erkennt, dass es sich beim ersten Baustein um den Vorbaustein „ver“ handelt, den man vor sehr, sehr vielen Stämmen findet. Einen Vorbaustein kann man in der Regel abbauen. Danach bleibt mindestens der Stamm übrig. Den Stamm „fähr“ wird nur richtig schreiben, wer ihn auf seine Bedeutung hin überprüft und ihn dann dem Stamm „fahr“ zuordnet. Die t-Endung ist eine typische Verb-Endung.
Schreibungen wie „ferfert“ oder „ferferd“ zeigen, dass dem Kind nicht bewusst ist, welche Bausteine in dem Wort stecken. Wir können mit diesem Beispiel auch ganz klar zeigen, dass wir nicht so schreiben, wie wir es hören. Der richtigen Schreibung liegt immer auch die Kenntnis der Bausteine eines Wortes zugrunde.
2. Logisches Muster im Wortstamm
Die Logik der Schreibung unserer Wortstämme orientiert sich an der Aussprache der Vokale.
Wir haben nicht 5 Vokallaute + 3 Umlaute, sondern 16 Vokallaute, die sich mit 5+3 Zeichen begnügen müssen.
Daher brauchen wir einen Trick, um dem Leser mitzuteilen, welchen Vokallaut er sprechen muss.
Spielen wir das nur mit einem Lautpaar durch. Wir haben zwei verschiedene o-Laute. Sprechen Sie den Anfang der Worte „der Ofen“ und „offen“ deutlich und betrachten Sie dabei Ihre Lippen im Spiegel. Sie können auch hier auf meiner Seite „Rechtschreibung logisch“ mehr dazu finden oder sich dieses Hörbeispiel anhören.
Das kurze, offen gesprochene /Ͻ/, mit dem „offen“ beginnt, unterscheidet sich nicht nur durch seine Kürze vom /o:/ des Wortes „Ofen“.
Die Schreibung mit einem oder mit zwei „f“-Zeichen ist der Trick, den wir anwenden, um dem Leser zu verraten, welchen o-Laut er bilden soll.
Die Zahl der Mitlaute nach dem Vokallaut dient nur als Aussprachehilfe.
Das verstehen Kinder, wenn man mit ihnen zuvor geübt hat, ein /o:/ von einem /Ͻ/ zu unterscheiden. Erklärungen und spielerische Übungsideen dazu sind in meinem Buch „Rechtschreibung logisch“ zu finden. So weit – so logisch.
Leider nicht logisch zu erklären sind folgende Schreibungen:
<oh> für langes o (/o:/)
<oo> für langes o (/o:/)
Allerdings sind sie seltene Schreibungen:
10,8 % fallen auf die oh-Schreibung, 0,18% auf die oo-Schreibung*
* So in: Günther Thomé: „Deutsche Orthographie – historisch –systematisch – didaktisch“ 2., verbesserte Auflage 2019, Seite 56
Knapp 90 % der Wörter mit einem langen o (/o:/) verwenden also das Zeichen <o>. Diesem Zeichen folgt dann in aller Regel nur 1 Mitlaut im Stamm.
Damit liegt es nahe, Kindern zunächst die Schreibung zu vermitteln, die für knapp 90% der Wörter richtig ist. Auf Wörter mit dem seltenen „Stummen h“ oder der noch selteneren oo-Schreibung kann man später immer noch eingehen – und stets mit der Anmerkung, dass es sich hier eben um seltene oder Sonderschreibungen handelt.
3. Merkwörter, klein und häufig benutzt
Unsere häufig gebrauchten „Miniwörter“ sind mit Sicherheit für einen guten Teil von Rechtschreibfehlern verantwortlich. Sie halten sich nicht an das logische Muster, das im Wortstamm gilt (kurzer Selbstlaut + 2 Mitlaute, langer Selbstlaut + 1 Mitlaut):
Kinn, Sinn, Beginn, Gewinn | aber „in“ oder „hin“
Grimm, schlimm, -stimm- | aber „im“
Robbe, robben | aber „ob“
Wer diese unterschiedlichen Schreibungen nicht sicher speichert, kann durcheinander kommen.
Ein Beispiel: Die Schreibung „inn*“ für „in“ ist rot markiert. Das Kind beginnt möglicherweise gerade, die Mitlautverdopplung wie in „Kinn“, „Sinn“, „Beginn“ oder „Gewinn“ zu entdecken. Daher hat es auch für „in“ diese Schreibweise gewählt. Es braucht an dieser Stelle dringend eine Erklärung:
„Du hast ‚in‘ mit <nn> geschrieben. Das hast du sehr gut überlegt. Es gibt einige Wörter, die genauso klingen wie unser kurzes Wort ‚in‘ und wirklich mit <nn> geschrieben werden. Die Schreibung mit <nn> ist sogar die normale Schreibung, wenn du so ein kurzes /i/ hörst. Lass uns ein paar Wörter mit der Gruppe ‚inn‘ im Stamm sammeln (Kinn, gewinnen, beginnen, Sinn, Rinne, Spinne, spinnen…)
Die meisten Miniwörter brauchen wir sehr oft. Darum soll das Schreiben schnell gehen. Sie werden daher extra kurz und klein gehalten. Du musst dir ihre besondere Schreibung merken. So ist es auch mit dem kleinen Wörtchen ‚in‘.“
Wird diese Gruppe der kleinen, häufigen Wörter als solche erkannt, gewinnt das Kind ein ganzes Stück mehr Sicherheit beim Schreiben.
4. Statistik hilft
Hätten Sie gewusst, dass die Schreibung "chs" die normale, häufigste Schreibung für den "ks"-Laut ist? Der Lachs, Dachs, Fuchs oder Ochse haben also keine Sonderschreibung, sondern die häufigste Schreibung für diesen Laut. Seltener ist die Schreibung der Hexe. Für Lehrende/Fördernde finde ich solche statistischen Informationen über unsere Rechtschreibung sehr hilfreich. Dorothea und Günther Thomé haben ein Übersichtsposter zur Häufigkeit unserer Schreibungen veröffentlicht.
Übersichtsposter "So schreibe ich richtig"
Das Poster zeigt alle Laute unserer Sprache und gibt für jeden davon die Schriftzeichen an, mit denen er geschrieben wird. Neben dem Laut 'langes o' befindet sich in grüner Schrift das häufigste Schriftzeichen für diesen Laut - der Buchstabe <o> und ein Beispielwort ("Hose"). Seltener wird langes "o" mit dem Schriftzeichen <oh> dargestellt ("Sohn"). Das <oh> ist in orangefarbener Schrift zu sehen. Die seltenste Schreibung des langen "o" als <oo> ("Boot") ist rot gehalten. Die Farben sind wichtig, denn unter jedem einzelnen Laut und den Schriftzeichen, mit denen er geschrieben werden kann, zeigt ein Balken an, wie häufig die jeweilige Variante ist. Beim langen "o" ist der grüne Balken etwa 13 cm lang, der orangefarbene 1,5 cm und der rote Balken ist so klein, dass man ihn fast nicht messen kann. Grün sind die häufigsten Schreibungen, also die "Basisschreibungen“ markiert.
Wie kann man das Poster einsetzen?
Bleiben wir beim Beispiel des Lautes 'langes o'. Schreibt ein Kind zum Beispiel die "Hose" mit <oo>, gehen wir zusammen zum Poster an der Wand. Hier kann ich dem Kind zeigen, dass das <oo> zwar wirklich eines der Schriftzeichen für das lange "o" ist – aber eben ein sehr, sehr seltenes. Schnell sammeln wir die wenigen Wörter, die uns mit dieser Schreibung einfallen…Moos, Moor, Boot, Zoo, doof. Diese wenigen Wörter können wir lernen, dann sind wir sicher, dass wir das <oo> keinem anderen Wort zu geben brauchen. Wir können außerdem den grünen Balken nachmessen, ja, der ist lang! Also schreiben wir das lange "o" fast immer nur mit dem <o>!
Das Kind sieht bildlich, wie es die <oo>-Schreibung einordnen muss und kann den Zusammenhang begreifen. Wir beschließen diese Lerneinheit, indem wir uns gemeinsam überlegen, wie sich das Kind die 5 Wörter am besten merken kann. In Form eines Bildes? Oder fällt uns ein lustiger Satz ein?
Der Laut "t"
Als weiteres Beispiel aus der Übersicht greife ich den Laut "t" heraus. Diesen Laut schreibt man doch… mit dem Buchstaben <t>! Ja, das ist das weitaus häufigste Schriftzeichen für den Laut "t". Aber hätten Sie gedacht, dass der Buchstabe <d> die zweithäufigste Schreibung für den Laut "t" ist? Am Ende der folgenden Wörter sprechen wir tatsächlich "t": Kind, rund, Rand, Geld, Hemd….
Hat ein Kind also etwa den 'Hund' mit <t> geschrieben, gehen wir zum Poster. Hier erfahren wir, dass wir oft ein "t" hören, aber ein <d> schreiben. Der orangefarbene Balken für den Buchstaben <d> ist immerhin fast 3 Zentimeter lang, der Buchstabe <d> wird also gar nicht so selten für den Laut "t" benutzt. Jetzt können wir uns über den Trick unterhalten, den die Kinder in der Schule gelernt haben – das Verlängern.
"So schreibe ich richtig“ ist ein schön gestaltetes Übersichtsposter, das vielfältig eingesetzt werden kann, wie diese zwei kleinen Beispiele zeigen.
Poster: So schreibe ich richtig. Dorothea und Günther Thomé. isb-Fachverlag 2019. ISBN: 978-3-94212229-0
Umgang mit Fehlern
Nehmen wir die falsche Schreibung eines Wortes doch ganz einfach ernst.
Ah, ich sehe, du hast „geschafft“ mit einem „f“ geschrieben. Lass uns überlegen. Welche Bausteine entdeckst du denn in deinem Wort? Genau ge-schaff-t. Der Stamm heißt „schaff“. Wie klingt nun das „a“ in diesem Stamm? Richtig, ganz kurz. Sprich es doch einmal lang. Ja, das geht! Merkst du, dass aus deinem Stamm ein Tier geworden ist? Wie wollen wir die beiden aufschreiben?
das Schaf | ge- schaf*-t ? |
Bei gleicher Schreibung würde ich die beiden Stämme auch gerne gleich sprechen. Hast du also eine andere Idee? Ja, genau, das weißt du schon: Einer der beiden sollte nach dem „a“ ein „ff“ haben. Aber wer? Du meinst, das Tier? Lass mal sehen. Das Wort „Schaf“ klingt wirklich sehr lang. Mit „ff“ würde es auf dem Papier auch lang aussehen. Das wäre schön. Aber es ist anders. Stell dir vor, die Buchstaben nehmen Platz auf einer Bank. Neben ein sehr dickes (langes) „a“ passt dann nur noch ein einziges „f“. Das kurze „a“ im Stamm „schaff“ macht sich dagegen so dünn, dass locker zwei „f“ daneben Platz finden.
das Schaf | ge-schaff-t
Lass uns die Bank malen mit dem dicken „a“ und einem „f“ und dann die gleiche Bank mit dem dünnen „a“ und dem Doppel-f. So kannst du dir bestimmt bald merken, welcher Stamm das Doppel-f bekommt.
So kann Rechtschreibung sogar Spaß machen – übrigens nicht nur dem Kind!