Rechtschreibung fördern

  bei LRS / Legasthenie

Ursachen von  LRS (Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten)    


Innere Regeln 

Wenn Kinder sprechen lernen, dann bildet ihr Gehirn "innere Regeln". An Fehlern wie "die Oma gehte" kann man erkennen, dass das Gehirn des kleinen Sprechers eine Regel abgeleitet hat: sagen - sagte, reden - redete, gehen - leider nicht "gehte". Niemals hätte man einem kleinen Kind dazu eine Regel erklären können. Sein Gehirn hat sie selbst gefunden. Bewusst ist ihm das nicht - es ist eine "innere Regel". Die Ausnahmen wird das Gehirn auch noch entdecken. Solange wendet es die neu entdeckte Regel begeistert an - eben auch auf Wörter, auf die sie nicht zutreffen.

 

Grafik schreibendes Kind

Auch wenn es darum geht zu erkennen, nach welchen Mustern wir die gesprochene Sprache in Schriftzeichen umwandeln, leistet das Gehirn wieder den größten Teil selbständig. Natürlich hilft guter Unterricht. Es führt aber kein Weg daran vorbei, dass das Gehirn Regeln und Zusammenhänge auf seine eigene Weise - nämlich weitgehend selbständig und vom Lernenden selbst unbemerkt - erkennen muss. "Automatisch" lesen und richtig schreiben kann nur, wer über ein solches Inventar an inneren Regeln verfügt. 


Ursache von LRS ist ein Begabungsmangel

Man nimmt an, dass die Ursachen für das Auftreten von LRS in der Sprachwahrnehmung und/oder der Verarbeitung von Sprache liegen. Wie unser Gehirn Sprache wahrnimmt und verarbeitet, das bringen wir mit auf die Welt. 


Das Lesen und Rechtschreiben ohne Mühe zu lernen, ist also eine Begabung wie andere Begabungen auch (s. Startseite). Ein Begabungsmangel in diesem einen Bereich (dem Erlernen von Lesen und Rechtschreiben) ist die Ursache für das Auftreten von Lese- und/oder Rechtschreibschwierigkeiten. 

 

Die Definition als "Begabungsmangel" macht auch verständlich, warum Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten in vielen Familien gehäuft auftreten. Begabungen werden vererbt. Für viele betroffene Familien ist das eine Information, die für eine Erleichterung und Entspannung sorgt. Eltern und Kind haben nichts "falsch" gemacht.


Wichtig ist aber, dass man auch bei schlechterer Begabung etwas tun kann. Mit fachkundiger Förderung können große Fortschritte im Bereich Lesen und in der Rechtschreibung gemacht werden. 


Anzeichen vor der Einschulung

Wenn das Erlernen von gesprochener und geschriebener Sprache ähnlich  verlaufen, dann sollten sich schwere Rechtschreibstörungen doch bereits im Verlauf des Spracherwerbs ankündigen?

 

Das ist in vielen – aber nicht in allen – Fällen auch tatsächlich so. Studien (so in Klicpera* S. 167)  haben gezeigt, dass Kinder, die später Rechtschreibprobleme bekamen, häufig schon während der Sprachentwicklung  


  • Probleme beim Lernen von neuen Wörtern 
  • und Schwierigkeiten im Bereich der phonologischen Bewusstheit (das ist die Fähigkeit, die einzelnen Bausteine der Sprache zu erkennen und damit zu operieren)

hatten. 

Christian Klicpera, Alfred Schabmann, Barbara Gasteiger-Klicpera. Legasthenie. Modelle, Diagnose, Therapie und Förderung. 2. Aktualisierte Auflage. Ernst Reinhardt Verlag München Basel, 2007.


Ein weiteres Kriterium, das immer wieder in diesem Zusammenhang genannt wird, ist die Benennungsgeschwindigkeit. Kinder, die später Probleme mit der Rechtschreibung entwickeln, haben oft schon vor der Einschulung Probleme damit gehabt, schnell den Begriff für ein Bild (zum Beispiel auf einer Memory-Karte) zu finden.


Da man von zwei unterschiedlichen Zugangswegen beim Lesen und beim Schreiben ausgeht – einem direkten Weg des Abrufs ganzer Wörter oder Wortbausteine aus dem mentalen Lexikon** und dem Weg der Entschlüsselung der einzelnen Phoneme (Sprachlaute)  und Grapheme (Schreibzeichen) andererseits – wären mit den Problemen der Benennungsgeschwindigkeit (als Gedächtnisleistung) und einer schwächeren phonologischen Bewusstheit beide Bereiche des Zugangs zur Schrift betroffen.

** Die Existenz eines inneren  oder mentalen Lexikons, in dem verschiedene Eigenschaften eines Wortes oder Wortbausteins gespeichert sind, ist eine Grundannahme der Linguistik. 


Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses haben sich in Studien als Ursache für das Auftauchen von LRS ebenfalls bestätigt (Klicpera S.168). Sie sollen dafür verantwortlich sein, dass dem Gehirn sowohl beim Spracherwerb als auch beim anschließenden Schriftspracherwerb nicht genügend Daten zur Verfügung stehen. 

Wenn neue Worte oder Satzkonstruktionen nicht im Kurzzeitgedächtnis gehalten werden können, bis das Gehirn sie analysieren konnte, kann es auch nicht genügend (innere) Regeln ableiten.

 

Was tun, wenn die Begabung fehlt?

Wenn trotz regelmäßigen Schulbesuchs und Übungen zu Hause die Leseleistung und/oder die Rechtschreibung deutlich unter dem Durchschnitt bleiben, könnte ein Begabungsmangel in diesem Bereich vorliegen. Zur Abklärung wendet man sich zunächst an die Lehrkraft und am besten in Abstimmung mit ihr an entsprechende Fachleute.

 

Zurück zum Beispiel "musikalische Begabung" (s. Startseite). Wenn ein Mensch eine Melodie nicht richtig treffen kann, weil sein Gehirn die Musik anders wahrnimmt und verarbeitet oder die Melodie nicht richtig speichert, ist es sicher spannend, auf die Suche nach Ursachen dafür zu gehen. Was verarbeitet sein Gehirn anders? Warum ist das so? 


Soll dieser Mensch aber in die Lage versetzt werden, in absehbarer Zeit besser singen zu können, dann braucht er vor allem eine auf seine Schwierigkeiten abgestimmte Förderung im Bereich "Musik" -   ebenso brauchen Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten eine auf ihre individuellen Schwierigkeiten abgestimmte Förderung in den Bereichen "Lesen" und "Rechtschreiben".